„EX – IN – OUT widmet sich der Präsentation von alten und neuen Textilien im Wechselspiel mit zeitgenössischer Kunst und setzt diese miteinander in Beziehung.
Diese Auseinandersetzung steht in direktem Zusammenhang mit meiner eigenen künstlerischen Arbeit. Schon seit längerem setzte ich mich mit alten Textilien auseinander – vor allem mit Laken – die ich sammle und auf natürliche, traditionelle Weise färbe: Beispielsweise mit der afrikanischen „Bogolan“Färbetechnik (gerbende Eukalyptusblätter in Verbindung mit Rost), durch die Fermentierung mit „Indigo“ in meinem Urin oder mit meiner eigenen Technik, „Garance“ zu erzielen, indem ich mit meinen eigenen „Wurzeln“ im warmen Bad presse. Seit langem tunke ich jede Textilie, die mich interessiert, in eine rostige alte Baggerschaufel, die ich benutze, um die jeweiligen Tinkturen anzurühren. Gespannt starre ich auf die triefenden Stoffe, um „das Feuer“ auf ihnen tanzen zu sehen – vom einfachen Betttuch bis hin zum 200 Jahre alten, bestickten Laken. Dabei interessiert mich vor allem der Prozess – nicht so sehr das „Kunstwerk“ oder ein iwie auch immer geartetes „Ergebnis“. Deshalb ging es mir in meiner künstlerischen Arbeit auch immer darum, eben die Prozesse der Veränderung, der „Metamorphose“, darstellbar zu machen: Also habe ich verschiedene Installationen entwickelt, die diese Prozesse des Einweichens, des Filterns und des Färbens mit und durch verschiedene Behältnisse und Vorrichtungen sichtbar gemacht haben. So entstand während dieser Zeit beispielsweise auch eine Performance, die im Dunkeln beginnen musste: Mit Stoffbahnen, die ich zuvor in photosensible Flüssigkeit getaucht hatte, kletterte ich nachts an 10 Meter hohen Fenstern hoch, um mit dem Beginn des Tages den Abdruck der Sonne einzufangen …
Durch dieser Zeit des Sammelns von Stoffen und der intensiven Auseinandersetzung mit Ihnen, reifte in mir die Idee, nicht nur von mir selbst gefärbte und bearbeitete Stoffe auszustellen, sondern auch die Ergebnisse andere Färbetechniken, anderer Traditionen und anderer künstlerischer oder kunsthandwerklicher Auseinandersetzungen mit Textilien und Stoffen zu zeigen:
Während einer dreimonatigen Reise nach Japan entdeckte ich dort die unbeschreiblich schönen „Boros“. Dies waren traditionell die Stoffe der japanischen Bauersfamilien. Vor allem aufgrund der hohen Baumwollpreise erwarben arme Bauernfamilien seit Beginn der Edo-Zeit (ca. 1600) gebrauchte Stoffe, denen sie ein „neues Leben“ gaben, indem sie daraus Arbeitskleidung („noragi“), Bettdecken („futongawa“) oder andere nützliche Alltagstextilien machten. „Boro“ bedeutet so viel wie „schlampige Klamotten“ – ein harter Ausdruck für zumeist liebevoll geflickte und reparierte Bettwäsche und Kleider, die deutlich über ihre übliche Lebensdauer hinaus verwendet wurden. Wie früher auch die nordamerikanischen Patchwork-Quilts erzählen Boros viel von den Lebensbedingungen und Lebensstandard japanischer Bauersfamilien in der damaligen Zeit. Die sparsame japanische Bäuerin reparierte die Bettdecken der Familien wieder und wieder, indem sie „Boro“ Stoffreste über fadenscheinige Stellen flickte und mit „sashiko“-Nähten verfestigte. Als Japan sich vom Zweiten Weltkriegs erholte und wirtschaftlich aufstieg, blickten die Japaner beschämt auf die Boro Stoffe und ihre Tradition – zu sehr erinnerten sie an die arme Vergangenheit des Landes. Eben diese Stoffe erfahren gerade eine enorme Aufwertung: Sie werden nun gesammelt und in Ehren gehalten. Sie erzählen Geschichten und öffnen uns ein Fenster in die japanische (Volks-)Kultur und Geschichte. Nicht nur für mich sind sie inzwischen zu Kunstwerken geworden.
Mir selbst haben es vor allem die mit Indigo gefärbten Bettdecken angetan. Ihre häufigste Musterung das „Shibori“ erinnerte mich an Indigo Stoffe aus Bangladesh, die ich 2011 auf einem Symposium für Naturfärbetechnik in Frankreich entdeckt habe. Dort wurden wunderschöne Quilts präsentiert von eine Kooperative, deren Geschäft nicht auf Kinderarbeit basiert, wie leider so viele andere in Bangladesh. Von diese kooperative de artisans nicht nur faire Löhne bekommen und demokratisch über ihre Arbeit entscheiden, sie haben auch die Verfügungsgewalt über die Gewinne, die die Kooperative erzielt. Diese werden zum Wohle der lokalen Gemeinschaft eingesetzt und helfen, nachhaltiges soziales, kulturelles und wirtschaftliches Leben vor Ort zu fördern.
Diese Quilt – bekannt als „Khetas“ wurden mit natürlichem, bengalischen Indigo gefärbt. Die Frauen, die die Stoffe färben,und nähen, können getrost als Meisterinnen ihres Handwerks bezeichnet werden. Das besondere an den Khetas ist ihre Maserung, die „dheu“ („Welle“) genannt wird und inzwischen von beiden Seiten Bengalens praktisch verschwunden ist. Die „dheu“ schafft einen Riffel-Effekt, der durch das Aufeinander-Nähen verschiedener Stoffschichten und einer speziellen Stichtechnik erzielt wird. Dadurch entsteht eine einzigartige, ondulierende Oberfläche, die die Betrachter an fließendes Wasser erinnert. Das Zusammentreffen von bengalischer und japanischer Kultur in zwei Techniken verwandt werden symbolisiert: die bengalische „dheu kheta“ und die japanische „neu shibori“. Diese Musterung und „dying process“ das Bearbeiten des Stoffes durch Applikation, Fäden Ziehen – punktgenau und straff – das Eintauchen in ein färbendes Bad ist letzlich ein gemeinsamer Art des Arbeitens mit natürlichem Indigo in Japan und Bangladesh. Beide – die bengalischen, traditionell hergestellten Ketha und die alten, japanischen Boro stellen etwas dar, das ich in meiner Arbeit niemals erreichen kann. Deshalb muss ich sie ausstellen, wie sie sind. Sie wecken Gefühle und entwickeln tragen mystische Bedeutung. Sie herzustellen war eine Ablenkung von der Schufterei des bäuerlichen Alltags und erinnert daran, „dass das Meer alles umschließt“ wie man in Japan sagt. In Bengalen erinnern sich die Menschen bei der Betrachtung der Muster an die sich überschneidenden, farbigen Linien des Himmels, die durch das Zusammenspiel von Wind und Regen nach einem Sturm entstehen.
Das Shibori (general technik) existiert seit langer Zeit auf Quilts und Boros, die für den alltäglichen Gebrauch gemacht sind. Sie sind von einfacher, robuster Natur. Sie werden täglich genutzt und abgenutzt, in Umlauf gebracht und zu neuem Leben erweckt. Mit den Jahren werden sie fragil, werden geflickt und erneuert, werden dünner und wieder dicker. Sie bewahren die Geschichte(n) ihrer Besitzer und deren Familien und leben so in gewisser Weise ihr eigenes Leben.
Zeitgenössische Kunst, in Kombination mit Kunsthandwerklichen Arbeiten und „Rady made assisté“ als Provokation zu bezeichnen, wäre übertrieben. Es zeigt vielmehr auf ein Neues auf leichtfüßige Weise, dass Kunst mit Kunsthandwerk zu tun hat und dass Kunst nicht nur ein Konzept ist, sondern Hände, Fähigkeiten und Fertigkeiten benötigt, um zum Leben erweckt zu werden. Wir wissen alle, dass Schönheit sich mit zeitgenössischer Kunst schwer verträgt. Ich habe mich entschieden, „schöne“ und elegante Textilien auszustellen, zusammen mit faszinierenden, aber beschädigten und geflickten alten Stoffen. Die Künstlerinnen und Künstler, die ich einmal monatlich einlade, im EX – IN – OUT auszustellen oder zu performen, setzten sich ebenfalls – manchmal auf sehr persönliche Weise – mit Schönheit, Zeit und Verfall auseinander und öffnen so mit ihren reichen, bildnerischen Arbeiten ein Fenster in die Vorstellungswelt des Betrachters.
Während ich diesen Text schreibe, fühle ich mich mit dem alten künstlerischen Motiv der Eitelkeit konfrontiert. Ist Narzismus nur die Betrachtung des Selbst im Spiegel oder ist da noch viel mehr? Was zeigen wir durch Materialien, die uns umgeben und mit denen wir umgehen? Was überlebt uns, wenn nicht unsere Spuren darin?
Unsere Kultur, unsere Gegenwart und unsere Vergangenheit ist eingewebt in all diese Stoffe. Über die Jahre wurden sie mit unserem Schweiß getränkt. Sie erzählen von unserer Geburt und unserem Tod. Es liegt an uns, sie gegen das Licht zu halten und die Geschichten zu erkennen, die sie erzählen – oder eben nicht“ Garance A.